• der Arbeitsgemeinschaft Niedergelassener Kinderkardiologen e. V. ANKK
  • der D.A.CH Gesellschaft Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen e. V.
  • der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. DGKJ
  • der Deutschen Gesellschaft für Lipidologie e. V. (DGFL) – Lipid-Liga
  • des Expert*innennetzwerks „Lipidologie im Kindesalter“ der DGFL – Lipid-Liga e. V.

Die o. g. Fachgesellschaften sowie die Mitglieder des Expert*innennetzwerks „Lipidolo­gie im Kindesalter“ der DGFL – Lipid-Liga e. V. unterstützen mit großem Nachdruck das Ziel der Gesetzesinitiative, die Früherkennung und die Versor­gung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verbessern.

Wir befürworten insbesondere ausdrücklich einen gesetzlichen Anspruch auf die Früherkennung einer Fettstoff­wechselstörung und von Gesundheits­untersuchungen im Erwachsenenalter. Aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht ist die Einfüh­rung und Etablierung des frühkindlichen Screenings zur Früherkennung einer Familiären Hypercholesterinämie (FH) anlässlich der U9-Vorsorgeuntersuchung wichtig, auch weil diese zu 98 % wahrgenommen wird. Spätestens bei der J1 (12. bis 14. Jahr) sollte das Screening abgeschlossen sein. Die Umsetzung eines FH-Screenings ist damit noch nicht adressiert (siehe unsere Stellungnahme vom 30.01.2024).

Der Fokus dieser Stellungnahme liegt auf den wissenschaftlichen und medizinischen Aspekten des frühkindlichen FH-Screenings (1).

Das FH-Screening bei der U9-Vorsorgeuntersuchung erfüllt die wichtigsten Screening-Kriterien nach Wilson und Jungner (2)

  1. Es handelt sich um ein signifikantes Gesundheitsproblem, dessen natürlichen Verlauf wir gut kennen: Mit einer geschätzten Prävalenzrate von mindestens 1 : 250 ist die FH die häufigste geneti­­sch bedingte Stoffwechsel­erkrankung (3, 4). Allein in Deutschland gibt es mehr als 300.000 Betroffene. Hierzulande werden aber nur etwa 5 % der von einer FH-Mutation Betroffenen diagnostiziert. Klinisch führt die FH zu frühzeitigen Gefäßkomplikationen.
    Die Kindheit bietet die Möglichkeit der Erkennbarkeit einer FH in ihrer latenten Phase. Das durchschnittliche Diagnosealter liegt aktuell mit 44 Jahren meist nach dem klinischen Erstereignis (5, 6). Im frühen Kindesalter und bis zum 9. Lebensjahr sind die LDL-C-Werte hauptsächlich gene­tisch determiniert und weniger durch hormonelle Einflüsse beeinflusst. Als FH-Screening-Zeitpunkt ist daher das 5.-6. Lebensjahr prädestiniert (7, 8, 9, 10).
  2. Es gibt eine etablierte effektive Therapie: Ein gesundheitsförderlicher Lebensstil soll die Basis sein, die alleinig aber nicht ausreichend ist. Die Medikation erfolgt mit Statinen und anderen LDL-C-Senkern, die effektiv und gut verträglich sind und die die hohe Morbidität und Mortalität von FH-Patient*innen auf das Niveau der Allgemeinbevölkerung senken können. Entscheidend ist ein frühzeitiger Therapiebeginn (5, 6, 11, 12).
  3. Es gibt einen sensitiven und spezifischen Screeningtest für die Diagnose einer monogenen FH: LDL-C-Messung (auch mittels Kapillar-Blutentnah­me) und genetische Analyse bei Werten über der 95. Perzentile ermöglichen die eindeutige Diagnose. Es gibt die international einheitliche Richtlinie für ein universelles FH-Screening und einen breiten Konsens bzgl. einer frühen Diagnostik und Therapie (13, 14, 15). Das pädiatrische FH-Screening wird von der Europäischen Kommission für öffentliche Gesundheit als eine der wichtigsten Praktiken zur Primärprävention empfohlen (16, 17, 18). Die Aktualisierung der AWMF-Leitlinie (Register-Nr. 027-068) „S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie von Hyperlipidämien bei Kindern und Jugendlichen“ (angemeldet durch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V.) ist noch nicht abgeschlossen. Ein Screening wird laut der S2k Vorgängerversion aus dem Jahr 2015 bei allen Kindern vorzugsweise bei der U9 im Vorschulalter oder spätestens bei der Jugendgesundheitsuntersuchung J1 (Alter 12 bis 14 Jahre) empfohlen, bislang aber nicht umgesetzt. Wir halten aus o. g. Gründen und weil die Teilnahmequote an der J1 vergleichsweise gering ist, das Screening zum Zeitpunkt U9 für sinnvoll.
  4. Das Screening ist für die Öffentlichkeit akzeptabel: Die Erfahrungen aus der Fr1dolin- und der VRONI-Studie belegen eine große Akzeptanz des FH-Screenings bei Kindern und Eltern sowohl der diagnostischen als auch der therapeutischen Maßnahmen.

Eine FH-Erkennung sollte umfassend sein: Wird bei Kindern die Diagnose einer FH gestellt, sollte ein reverses Kaskaden-Screening den erst- und zweit­gradigen Verwandten angeboten werden, um diese Risikopopulation anschließend weitergehend zu untersu­chen, ebenfalls zu beraten und ggf. zu therapieren.

Wir sehen über das FH-Screening zum Zeitpunkt der U9 hinaus weiteren Optimierungs- bzw. politischen Regelungsbedarf:

Die Stärkung lebensstilbezogener Maßnahmen für alle Menschen mit Ermöglichung und Förderung eines gesundheitsförderlichen Lebensstils (kein Nikotinkonsum, körperliche Aktivität, gesunde Ernährung, Vermeiden von Überwicht/Adipositas, Förderung von Ernährungs- und Gesundheits­kompetenz und körperlicher Bewegung schon ab dem Kindesalter).

Die Vorgabe einer Therapie mit Statinen per Gesetz erachten wir als nicht ange­bracht (siehe Formulierungsvorschlag SGB V, Artikel 1, Absatz 5), es sollte vielmehr ein personalisierter Therapieansatz gewählt werden. Die medikamentöse lipidsenkende Therapie mit Statinen und anderen Medikamenten zur Vorbeugung kardiovaskulärer Erkrankungen sollte nach der jeweils geltenden Leitlinie individuell ermöglicht werden. Die DGFL – Lipid-Liga e.V. wird eine Stellungnahme an den G-BA einreichen, der aktuell zu der geplanten Änderung der Vorgaben zur Versorgung mit Statinen (identische Thematik) zur Kommentierung aufgerufen hat.

Wir betonen die großen Chancen eines Gesetzes zur Stärkung der Herzgesundheit und unsere Unterstützung für die Stärkung der kardiovaskulären Vorsorge. Wir bieten an, das BMG bei diesen und allen weiteren Maßnahmen zur Herz-Kreislaufgesundheit weiterhin mit unserer fachlichen Expertise zu beraten.

09. Juli 2024

 Literatur

  • Scherer M, Sanin V (2024): Screening für familiäre Hypercholesterinämie – so früh wie möglich? Pro: Früh erkennen, Herzinfarkte Verhindern: Wir müssen handeln!. CARDIOVASC 24 (2): 31-33
  • Wilson J M , Jungner Y G (1968): Principles and practice of mass screening for disease. Bol. Oficina Sanit Panam 65: 281-393
  • Trinder M, Francis GA, Brunham LR. (2020): Association of monogenic vs polygenic hypercholesterolemia with risk of atherosclerotic cardiovascular disease. JAMA Cardiol 5: 390-399
  • Kordonouri O Lange K, Boettcher I et al. (2018): New approach for detection od LDL-hypercholesterinaemia in the peditric population: The Fr1dolin-Trial in Lower Saxony, Germany. Atherosclerosis 280: 85-91
  • Kerr M et al. (2017): Cost effectiveness of cascade testing for familial hypercholesterolaemia, based on data from familial hypercholesterolaemia services in the UK. Eur Heart J 38 (23): 1832-1839
  • Ademi Z, Norman R, Pang J et al. (2023): Cost-effectiveness and return on investment of a nationwide case-finding program for familial hypercholesterolemia in children in the Netherlands. JAMA Pediatr 177: 625-632
  • Starr B, Hadfield SG, Hutten BA, Lansberg PJ, Leren TP, Damgaard D, et al. (2008): Development of sensitive and specific age- and gender-specific low-density lipoprotein cholesterol cutoffs for diagnosis of first-degree relatives with familial hypercholesterolaemia in cascade testing. Clin Chem Lab Med 46 (6): 791-803
  • Balder JW, Lansberg PJ, Hof MH, Wiegman A, Hutten BA, Kuivenhoven JA. (2018): Pediatric lipid reference values in the general population: The Dutch lifelines cohort study. Journal of clinical lipidology 12 (5): 1208-1216
  • Robert Koch-Institut (RKI) (2009): Bevölkerungsbezogene Verteilungswerte ausgewählter Laborparameter aus der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS): 67-79. URL: https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsB/KiGGS_Laborparameter.pdf?__blob=publicationFile (letzter Zugriff: 28.06.2024)
  • Wald DS, Bestwick JP, Wald NJ (2007): Child-parent screening for familial hypercholesterolaemia: screening strategy based on a meta-analysis. Bmj 335 (7620): 599
  • McKay AJ, Hogan H, Humphries SE, et al. (2018): Universal screening at age 1-2 years as an adjunct to cascade testing for familial hypercholesterolaemia in the UK: A cost-utility analysis. Atherosclerosis 275: 434-443
  • Sanin V et al. (2022): Population-based screening in children for early diagnosis and treatment of familial hypercholesterolemia: design of the VRONI study. Eur J Public Health 32 (3): 422-428
  • Familial Hypercholesterolaemia Studies Collaboration (FHSC) (2021): Global perspective of familial hypercholesterolaemia: a cross-sectional study from the EAS. Lancet 398 (10312): 1713-1725
  • Sturm AC et al. (2018): Clinical Genetic Testing for Familial Hypercholesterolemia: JACC Scientific Expert Panel. J Am Coll Cardiol 72 (6): 662-680
  • Gidding SS, Wiegman A, Groselj U, et al. (2022): Paediatric familial hypercholesterolaemia screening in Europe: public policy background and recommendations. Eur J Prev Cardiol 29: 2301-2311
  • Groselj U, Wiegman A, Gidding SS (2022): Screening in children for familial hypercholesterolaemia: start now. Eur Heart J 43: 3209-3212
  • European Atherosclerosis Society (2024): Familial Hypercholesterolaemia Studies Collaborati­on. Familial hypercholesterolaemia in child­ren and adolescents from 48 countries: a cross-sectional study. Lancet 6; 403 (10421): 55-66
  • Ray KK, Ference BA, Séverin T, et al. (2022): World Heart Federation Cholesterol Roadmap 2022. Glob Heart 17: 75

Sie finden die Stellungnahme hier als PDF