Stellungnahme von Prof. Weizel zum Buch „Die Cholesterin-Lüge“ von Prof. Hartenbach
Statt wissenschaftlich fundierter Sachinformation: Spekulationen, Fehl- und Falschinformationen mit möglichen fatalen Folgen…
von Prof. Dr. med. Achim Weizel
Vorsitzender
der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung von Fettstoffwechselstörungen und
ihren Folgeerkrankungen DGFL – Lipid-Liga e. V.
und
des Präsidiums der Kooperation Deutsche Gesellschaft für Arterioskleroseforschung
DGAF e. V. – DGFL – Lipid-Liga e. V. Lipid-Liga e.V.
Das Buch von Hartenbach hat große Breitenwirkung in Ärzte- und Laienkreisen erreicht. Bei kritischer Durchsicht findet sich leider keinerlei fundierte Substanz.
In vielfachen Wiederholungen propagiert Hartenbach drei eigene Thesen, der Rest des Buches besteht aus Ungenauigkeiten und falsch ausgelegten oder nicht verstandenen Daten.
Hartenbach war als Chirurg tätig. Ausweislich seiner eigenen Literaturangaben hat er sich in den Jahren 1956 – 1967 mit Stressvorgängen bei Operationen, Verbrennungen etc. beschäftigt. Zumindest in den Literaturangaben seines Buches „Die Cholesterinlüge“ [1] sowie mittels Internetrecherche incl. Medline finden sich keine Hinweise zu eigener Beschäftigung mit Problemen des Fettstoffwechsels und der Atherosklerose. Seine, im Buch mehrfach wiederholten Grundthesen lauten:
I. Es gibt keine Beziehung zwischen erhöhten Cholesterinkonzentrationen im Blut und der Koronaren Herzkrankheit.
Eine solche Behauptung übersieht, dass es nur wenige Gebiete in der Medizin gibt, in denen kausale Verknüpfungen so eindeutig sind wie hier. Zum einen ist die statistische Assoziation zwischen erhöhten Cholesterinkonzentrationen im Blut und koronarer Herzkrankheit durch große epidemiologische Studie wie Framingham und PROCAM seit Jahrzehnten eindeutig gesichert und unumstritten. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass durch große Interventionsstudien mit Ernährungsumstellung oder Medikamenten gezeigt werden konnte, dass eine ausreichende Senkung der Cholesterinkonzentration immer mit einem Rückgang der Morbidität, bei Hochrisikogruppen auch mit einem Rückgang der Mortalität verbunden ist. Alle relevanten Fachgesellschaften (Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, European Society of Cardiology, American Heart Association) haben diese Studien zur Grundlage ihrer Therapieempfehlungen gemacht. Erst vor wenigen Wochen wurden in der Zeitschrift Circulation, dem offiziellen Organ der American Heart Association, neue Richtlinien publiziert, in die die Ergebnisse neuer Studien wie der PROVE-IT-Studie [2] eingegangen sind. Als Konsequenz wird empfohlen, den Zielwert für LDL-Cholesterin bei Hochrisikopatienten auf 70 mg/dl zu senken. Die Empfehlungen der Fachgesellschaften sind heute weltweit die Basis für die Therapie in Klinik und Praxis.
II. Eine Cholesterinsenkung führt „nicht nur zum Organversagen, sondern auch zu krebsigen Entartungen“
Diese Behauptung wird durch die Ergebnisse der zahlreich vorliegenden Statin-Studien eindeutig widerlegt. Die Prosper Study Group [3] hat 2002 eine Metaanalyse aller zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Statin-Studien (WOSCOPS, CARE, LIPID, PROSPER, 4S, AFCAPS/TexCAPS, LIPS, HPS) vorgelegt. In den Placebogruppen wurden 29.410 Patienten behandelt, in den Therapiegruppen 29.424 Patienten. Die Zahl der Malignome in den entsprechenden Gruppen betrug 2.028 vs. 2.071. Die Studien ergaben nicht den geringsten Hinweis für ein vermehrtes Auftreten von Malignomen unter Cholesterinsenkung mit Statinen.
Wer angesichts dieser eindeutigen Zahlen aus umfangreichsten placebokontrollierten Studien noch behauptet, dass es unter Cholesterinsenkung mit Statinen zum gehäuften Auftreten von Malignomen kommt, will offensichtlich wissenschaftliche Ergebnisse nicht sehen und flüchtet sich in nicht beweisbare Behauptungen.
Insgesamt entbehrt die Theorie, dass niedrige Cholesterinkonzentrationen zu Krebs disponieren, jeglicher wissenschaftlicher Grundlage. Es gibt zahlreiche Populationen in der Welt mit einer durchschnittlichen Gesamtcholesterinkonzentration unter 200 mg /dl. Weder in diesen Gruppen noch bei Menschen, bei denen, bedingt durch ihre Ernährung und Lebensweise, niedrige Cholesterinkonzentrationen im Blut gefunden werden (z. B. Vegetarier), wurde eine erhöhte Krebsfrequenz festgestellt.
III. Eine Cholesterinsenkung führt zu einer „Minderung des Stresshormons Cortisol“. Dies führt „über ein Absinken des Blutzuckers zu Muskelschwächen, Zittern und häufig tödlichem Koma“
Unabhängig von der Tatsache, dass diese angeblichen Folgen der Cholesterinsenkung bei der häufig angewandten Therapie mit diesen Substanzen weder im klinischen noch im ambulanten Bereich bekannt sind, führt eine Literatursuche die Vorstellung, dass „Cholesterinsenkung = Cortisolabsenkung = gesundheitliche Schäden“, ad absurdum. Bei Einführung der Statine wurden zahlreiche Untersuchungen zu dieser Problematik durchgeführt, ohne dass eine Beeinflussung der Hormone nachgewiesen werden konnte. Im Rahmen der Zulassung von Pravastatin zur Behandlung von Fettstoffwechselstörungen bei Kindern wurden erneut Untersuchungen publiziert, da ja gerade bei Kindern ein Eingriff in den Hormonhaushalt besonders bedenklich wäre. Wiegmann et al. [4] untersuchten 214 Kinder mit familiärer Hypercholesterinämie vor und nach 2-jähriger Pravastatin-/Placebotherapie (Therapie mit einem Scheinmedikament). Unter der Therapie kam es zu einem signifikanten Absinken der Gesamtcholesterin- und LDL-Cholesterinkonzentration. Der Trend zeigte eine Zunahme der Intima-Media-Dicke in der Placebogruppe gegenüber der Therapiegruppe, was dafür spricht, dass die Behandlung mit Statinen den Prozess der Atherosklerose sogar schon im Kindesalter verlangsamt. Bei der Untersuchung der Hormone vor und nach Therapie gab es trotz deutlicher Veränderungen der Cholesterinkonzentrationen (Gesamtcholesterin, LDL-Cholesterin) keine Änderungen bei Corticotropin, Cortisol, DHEA, FSH, LH, Thyrotropin, Estradiol, Testosteron. Praktisch identische Ergebnisse fanden de Jongh et al. [5] ebenfalls bei Kindern mit familiärer Hypercholesterinämie. Auch hier ging die Cholesterinsenkung mit unveränderten Hormonwerten einher. Santini et al. [6] behandelten Patienten mit Hypercholesterinämie mit Atorvastatin über drei Monate. Es kam zu einem signifikanten Rückgang der Gesamtcholesterin- und LDL-Cholesterinkonzentrationen unter dieser Therapie. Eine Messung der Konzentrationen von Cortisol, DHEA, Androstendion, Testosteron, SHBG (sexhormone binding globuline) ergab keine Änderung trotz deutlich niedrigerer Cholesterinkonzentrationen.
Fazit: Aufgrund der vorliegenden Daten aus der Zeit der Einführung der Statine sowie aus neueren Untersuchungen anlässlich der Zulassung der Statine zur Behandlung von Kindern ergibt sich eindeutig, dass eine Beeinflussung des Hormonhaushalts und speziell des Cortisolstoffwechsels nicht stattfindet – postulierte Schäden über diesen Mechanismus sind daher reine Spekulation, die weder von wissenschaftlichen Daten noch von praktischen Erfahrungen untermauert werden. Die ständigen Wiederholungen dieser unbewiesenen und schlichtweg falschen Postulate zeugen von einer erschreckenden Unkenntnis der Literatur oder gar, was noch schlimmer wäre, einer bewussten Irreführung des Lesers.
Die Thesen von Hartenbach, Cholesterinsenkung führe zu Cortisol-Mangel, Cholesterinsenkung erhöhe die Malignomgefahr, sind daher als rein spekulative Äußerungen eines Kollegen zu betrachten, der offensichtlich jeglichen Bezug zu den neueren Ergebnissen der Wissenschaft verloren hat bzw. diese nie gesehen bzw. verstanden hat. Und darin liegt die Gefahr dieses Buches!!!
Neben diesen – unhaltbaren – Hauptthesen sollten eine Menge falsch oder nicht verstandener Aussagen die Lust an diesem Buch verderben. Dies setzt allerdings entsprechende Sachkenntnis voraus.
Die Framingham-Studie zählt zu den größten epidemiologischen Studien der Medizin. Dieser Studie verdanken wir das Konzept der Risikofaktoren, d. h. die Erkenntnis, dass die Atherosklerose ein multifaktorielles Geschehen ist, mit vielen Einzelfaktoren (Nikotinkonsum, Lipide (Blutfette), Hypertonie, Diabetes usw.). Hartenbach reiht diese rein epidemiologische Studie unter die Therapiestudien ein und zeigt damit, dass nicht einmal das Basiswissen vorhanden ist, das die Grundlage einer wissenschaftlichen Diskussion darstellt.
Doch nicht nur am epidemiologischen Wissen hapert es, auch die physiologischen biochemischen Grundlagen des Fettstoffwechsels scheinen vollständig an ihm vorbeigegangen zu sein. An allen medizinischen Fakultäten der Welt wird heute die Biochemie des Fettstoffwechsels gelehrt mit der Zuordnung der einzelnen Lipoproteine (Chylomikronen, VLDL, LDL und HDL) zu definierten Stoffwechselfunktionen. Die Funktionen der einzelnen Lipoproteine sind dabei weitgehend aufgeklärt, Störungen der Funktionen als Krankheitsursachen anerkannt. Ein Beleg hierfür ist beispielsweise die angeborene Störung des Cholesterinstoffwechsels, die sog. familiäre Hypercholesterinämie (FH). Wer heute zum Beispiel noch bezweifelt, dass eine hohe Konzentration von LDL-Cholesterin und eine erniedrigte Konzentration von HDL-Cholesterin zu Schäden an den Gefäßen führen kann, der muss die letzten Jahrzehnte außerhalb der medizinischen Gemeinde verbracht haben.
Das gilt auch für die Behauptung, dass hohe Cholesterinkonzentrationen zu einer höheren Lebenserwartung führen; dies ist zumindest bis zu einem Alter von ca. 75 Jahren durch keinerlei Daten abgedeckt, über höhere Altersklassen liegen zu wenige Daten vor.
Es hilft auch wenig, wenn man die überholten Vorwürfe wieder aufwärmt, dass interessierte Ärzte alle Menschen mit einer Gesamtcholesterinkonzentration von über 200 mg/dl zu Kranken erklärten. Dies war schon immer eine gewollte Fehlinterpretation. Tatsache ist, dass nur vorgeschlagen wird, bei Menschen mit einer Gesamtcholesterinkonzentration von über 200 mg/dl zusätzlich die LDL-Cholesterin- und HDL-Cholesterinkonzentration zu bestimmen, um beim Vorliegen einer ungünstigen Konstellation durch Lebensstiländerung, vermehrte körperliche Bewegung oder Medikamente einzugreifen, um das Risiko zu vermindern.
Inkonsequent ist auch die Haltung gegenüber der Industrie. Auf vielen Druckseiten wird beklagt, dass die Margarineindustrie und die Medikamentenhersteller falsche Daten in die Diskussion bringen, ohne dass dafür auch nur der geringste Beweis erbracht wird. Andererseits empfiehlt Hartenbach Kontaktaufnahme mit dem Deutschen Kassenarztverband, von dem alle Insider wissen, dass er – anders als der Name vorgibt – mit der KV (Kassenärztlichen Vereinigung) nichts gemeinsam hat und seit Jahrzehnten Interessen der Wirtschaft und nicht der Gesundheit vertritt. Man sollte schon mehr Gespür dafür haben, für welche Interessenverbände man sich einsetzt.
Neben diesen massiven Zeugnissen von Unkenntnis und Unterstellungen fällt es schon fast nicht mehr ins Gewicht, wenn pharmazeutische Firmen verwechselt werden, so ist der Unterschied zwischen der Firma Merck und der Firma MSD (Merck, Sharp & Dohme) dem Autor offensichtlich nicht geläufig.
Genauso falsch wie vieles andere ist die Aussage, die DGFL – Lipid-Liga e. V. Lipid-Liga und die Deutsche Gesellschaft für Arterioskleroseforschung DGAF seien Vereinigungen ohne ärztliche Mitglieder. In den Vorständen beider Fachgesellschaften sind ausschließlich Mediziner (DGFL – Lipid-Liga e. V.) oder Naturwissenschaftler (DGAF) vertreten. Anzumerken sei an dieser Stelle, dass die Deutsche Gesellschaft für Arterioskleroseforschung darüber hinaus Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Fachgesellschaften (AWMF) ist, deren Meinung maßgeblich für das Bundesministerium für Gesundheit und Soziales ist.
Man könnte über ein Buch wie das von Hartenbach hinweggehen. Das offensichtliche Fehlen oder Unterschlagen jeglicher biochemischer, medizinischer und wissenschaftlicher Grundlagen ermöglicht keine sachliche Diskussion. Da aber viele Ärzte und der allergrößte Teil der Laien nicht in der Lage sein können, diese Defizite auf den ersten Blick zu erkennen, muss energisch gegen solche Falschinterpretationen vorgegangen werden. Die hierdurch ausgelöste Verunsicherung von Ärzten und Patienten birgt die große Gefahr, dass der Stellenwert des Cholesterins für die Atherosklerose unterschätzt wird und dadurch Patienten eine notwendige Therapie vorenthalten wird bzw. diese die Therapieempfehlungen ihres behandelnden Arztes nicht annehmen werden.
Weitergehende Informationen erhältlich bei:
DGFL – Lipid-Liga e. V. Lipid-Liga e. V.
E-Mail: info@lipid-liga.de